Photovoice und Deutsch als Zweitsprache – Artikel Fotoausstellung

Photovoice und Deutsch als Zweitsprache – Artikel Fotoausstellung

Photovoice und Deutsch als Zweitsprache – Artikel Fotoausstellung 640 439 TippToppTexte von Dr. Barbara Neuber

„Ich schreibe also bin ich. Ich werde gelesen, also bin ich nicht allein.“
(Kurt Marti)

Kreatives Schreiben zu Photovoice als Methode im DaZ-Unterricht

Wenn wir also eine Photovoice-Ausstellung betrachten, sehen wir nicht nur „äußere Bilder“ unserer Umgebung durch die Augen der Lernenden, sondern erfahren auch etwas über die „inneren Bilder“[2] dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen, über ihre Emotionen und Gedanken, vielleicht auch über Schwierigkeiten und Ängste oder Freuden und Hoffnungen.

Das Besondere und vor allem Herausfordernde für diejenigen, die uns ihre Welt in diesem Band in Bild- und Textform präsentieren, war es, dass sie dies nicht in ihrer Muttersprache bewältigt haben, sondern in einer Sprache, die den meisten noch bis vor kaum mehr als zwei Jahren völlig fremd war – dem Deutschen als Zweitsprache.

Genau in dieser Schwierigkeit aber liegt auch der Nutzen, wenn man Photovoice als Ausgangspunkt für Kreatives Schreiben im DaZ-Unterricht nimmt.

Der Begriff Kreatives Schreiben ist häufig mit dem Vorurteil besetzt, dass es sich dabei um eine reine »Beschäftigungsmethode« von Schülern in Vertretungsstunden oder vor den Ferien handle. Vor allem für den DaZ-Unterricht stellt sich natürlich die Frage, ob Kreatives Schreiben sinnvoll ist, wenn Wortschatz und Grammatik noch gar nicht »richtig« beherrscht werden. Sind nicht gewisse Fähigkeiten in einer Sprache die Voraussetzung, um »sinnvolle Texte«  produzieren zu können? Können dadurch sprachliche Fähigkeiten verbessert werden, was ja Ziel des DaZ-Unterrichts sein sollte?

Ja, können sie – und zwar genau die Fähigkeiten im schriftsprachlichen Bereich, die allgemein so große Schwierigkeiten darstellen: Lehrende stehen immer wieder vor dem Problem, dass Schüler, die sich in der Zweitsprache mündlich bereits gut ausdrücken können und die auch viel und gerne sprechen, beim Schreiben nur sehr schleppend Fortschritte machen. Die eigene Erfahrung zeigt, dass viele dieser Schüler ihren Wortschatz immer mehr erweitern und sich der mündliche Ausdruck weiter verbessert, auch schriftliche Grammatikübungen z. B. in Form von Lückentexten werden auf zunehmend höherem Niveau bewältigt, die Leistungen im Schreiben von freien Texten wollen aber oft einfach nicht besser werden – von der Schreibmotivation ganz zu schweigen.

Das liegt vor allem daran, dass Schreiben auch in der Muttersprache ein äußerst komplexer Prozess ist, bei dem orthographische, grammatikalische, semantische, stilistische, kommunikationspragmati­sche und textmusterbezogene Aspekte berücksichtigt werden müssen.[3] Auf allen diesen Ebenen können »Fehler« gemacht werden, die in Schriftform auf dem Papier prangen und der Rotstift des Lehrers führt dem Schreiber dies deutlich vor Augen. Das eigene Schreibprodukt ist übersät von unzähligen Korrekturen – nicht gerade motivierend, um freiwillig weitere schriftliche Texte zu formulieren. Dies ist jedoch die Voraussetzung dafür, um sich zu verbessern.

Die Möglichkeit, sich durch die eigenen Bilder mitzuteilen, kann den Lernenden das Gefühl geben, etwas sagen und Emotionen ausdrücken zu können, wofür die sprachlichen Mittel oft noch fehlen.[8] Die Verfahren des Kreativen Schreibens können dann genutzt werden, um eine Brücke zwischen dem Nonverbalen und dem verbalen Sich-in-der-Zweitsprache-Ausdrücken zu schlagen. Denn beim Kreativen Schreiben dürfen die Lernenden in freien Texten ihre Fantasie und Imaginationskraft zum Ausdruck bringen und zwar unabhängig davon, wie gut sie die Sprache, in der sie schreiben sollen, beherrschen.[9]

Der spielerische Umgang mit Sprache, der durch kreative Schreibanlässe[10] – in unserem Fall durch die eigenen Bilder – angeregt wird, kann helfen, Schreibängste abzubauen und die Lust am Schreiben wiederzuentdecken.[11]

Kinder, die allgemein am Anfang des Schriftspracherwerbs stehen, oder gerade erst alphabetisierte Jugendliche oder Erwachsene können so von Anfang an einen positiven Zugang zum Schreiben finden.

Im Deutsch-als-Zweitspracheunterricht entstehen so positive Erfahrungen nicht nur mit dem Schreiben, sondern mit Sprache in all ihren Ausdrucksformen. Selbstvertrauen in die eigene fremdsprachliche Kompetenz wird entwickelt[16] und nicht zuletzt kann das Präsentieren der eigenen Werke in Bild- und Textform zur Stärkung einer positiv besetzten mehrsprachigen Identität beitragen – „Ich schreibe also bin ich.“ (Kurt Marti)

 

Literatur:

Benő, Eszter: Kreatives Schreiben im DaF-Unterricht. Schreiben zu und nach literarischen Texten. Neue Didaktik 1/2011. S. 79-96. (Online abrufbar unter: https://core.ac.uk/download/pdf/33979823.pdf)

Böttcher, Ingrid: Kreatives Schreiben. Grundlagen und Methoden. Beispiele für Fächer und Projekte, Schreibecke und Dokumentation. Berlin 1999.

Hinrichs, Beatrix: Kreatives Schreiben – ein Weg zur Förderung der Schreibkompetenz von Schülern mit Deutsch als Zweitsprache im Deutschunterricht. In: Pro DaZ. Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern. Dezember 2011.

(Online abrufbar unter: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/kreatives_schreiben.pdf)

Wolfrum, Jutta: Kreativ Schreiben. Gezielte Schreibförderung für jugendliche und erwachsene Deutschlernende (DaF/DaZ). Ismaning 2010.

 

Internetquellen:

Hexelschneider, Annette: Eine kreative Methode betrachtet (Teil 3): Partizipative Fotografie, URL: https://wissendenken.com/visuelles-denken/eine-methode-betrachtet-folge-3-partizipative-fotografie/(letzter Zugriff: 03.01.2019)

Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule. (Beschluss der Kultusministerkonferenz 25.10.1996 i. d. F. vom 05.12.2013), URL: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Themen/ Kultur/1996_10_25-Interkulturelle-Bildung.pdf

 

Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996., URL: https://www.globaleslernen.de/sites/default/files/

files/link-elements/interkulturelles_20lernen_20in_20der_20schule_2c_201996.pdf

[1] https://wissendenken.com/visuelles-denken/eine-methode-betrachtet-folge-3-partizipative-fotografie/
[2] Vgl. Ebd.
[3] Vgl. Hinrichs 2011, S. 3.
[4] Vgl. dazu auch Hinrichs 2011, S. 3f., Wolfrum 2010, S. 34.
[5] Vgl. Hinrichs 2011, S. 2.
[6] Siehe dazu beispielsweise die Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule: Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25.10.1996 i. d. F. vom 05.12.2013.“
[7] Vgl. Hinrichs 2011, S. 3.
[8] Vgl. dazu auch: https://wissendenken.com/visuelles-denken/eine-methode-betrachtet-folge-3-partizipative-fotografie/
[9] Vgl. Böttcher 1999, S. 22.
[10] Anregung sind in der Regel ein oder mehrere Bilder, ein Musikstück, ein oder mehrere Reizwörter, es gibt Schreibspiele und kooperative Schreibformen oder das Schreiben zu literarischen Vorlagen – die Möglichkeiten sind vielfältig und Schreiber aller Niveaus können davon profitieren. (Vgl. zum Beispiel Benő  2011, Böttcher 1999, Wolfrum 2011)
[11] Vgl. dazu auch Wolfrum 2010, S. 34.
[12] Vgl. dazu auch Wolfrum 2010, S. 34.
[13] Vgl. u.a. Benő 2011, S. 79, Vgl. Hinrichs 2011, S. 3, Wolfrum S. 31.
[14] Vgl. u.a. Wolfrum 2010, S. 34; Böttcher 1999, S. 22.
[15] Vgl. Benő 2011, S. 79.; Siehe dazu auch den Auszug aus der ersten Fassung der Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ von 1996, S.6: „In der Auseinandersetzung zwischen Fremdem und Vertrautem ist der Perspektivwechsel, der die eigene Wahrnehmung erweitert und den Blickwinkel der anderen einzunehmen versucht, ein Schlüssel zu Selbstvertrauen und reflektierter Fremdwahrnehmung. Die durch Perspektivwechsel erlangte Wahrnehmung der Differenz im Spiegel des anderen fördert die Herausbildung einer stabilen Ich-Identität und trägt zur gesellschaftlichen Integration bei.“
[16] Vgl. Wolfrum 2010, S. 37.

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