Die Oberpfälzer Mundwerkstatt
von Dr. Barbara Neuber
Inhalt
- Bairisch ist nicht gleich Bayerisch! (Bairische Sprachverwirrungen)
- Der Nigl und seine Brüder
- Bärner und Mejsbärn
- Bairisch ist Hochdeutsch!
1. Bairisch ist nicht gleich Bayerisch! (Bairische Sprachverwirrungen)
Wenn man von den bairischen Mundarten spricht, darf man das nicht mit den Dialekten verwechseln, die im heutigen Bayern gesprochen werden. Unser Volksstamm und unsere Sprache sind natürlich viel älter als der Freistaat und dessen politische Vorfahren. (Wie kämen sonst die Franken und Schwaben zu uns?). Und ob wir es wollen oder nicht – sprachlich gehören wir halt doch irgendwie mit den Österreichern zusammen, wenigstens mit einem Teil davon. Genauso wenig kann man sagen, dass in der Oberpfalz Oberpfälzisch, in Niederbayern Niederbairisch und in Oberbayern Oberbairisch gesprochen wird. So einfach geht es leider nicht zu im Dialekt. Und wer einmal von Weiden nach Tirschenreuth gefahren ist, weiß auch, dass sich die sprachlichen Verhältnisse oft sogar von Ort zu Ort ändern.
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Um die Dialekte zu beschreiben geht man nicht vom heutigen Standarddeutschen, sondern vom Mittelhochdeutschen aus, dessen Laute sich im deutschen Sprachgebiet unterschiedlich entwickelt haben. Die wichtigsten Kennzeichen unserer nordbairischen Mundart sind die Laute ej und ou wie in Brejf, Flejng, Fous und Kou. Diese sind aus den mittelhochdeutschen Lauten ie bzw. üe und uo entstanden. Weil es so scheint, als wären die Laute umgedreht worden, spricht man deshalb auch häufig von den „gestürzten Diphthongen“ als typische Kennzeichen des Nordbairischen. Im Mittelbairischen zum Beispiel ist daraus ia und ua geworden. Deshalb »muas ma durt Kia hian und bei uns mouma Kej hejn. Bei uns haben sich außerdem die mittelhochdeutschen Laute ê, œ, bzw. ô, â ähnlich wie die gestürzten Diphthonge entwickelt, so dass wir auch schej, gej und Schouf, Strou sagen. Im Mittelbairischen wiederum ist daraus aber nicht ia und ua, wie aus den anderen Lauten geworden. Dort sagt man schee, gee und Schoof. Nur das ô hat sich genauso entwickelt wie bei uns: In Niederbayern werden also die Kia a mit Strou gfiadad.
Als besonders auffallendes Kennzeichen im nördlichen Nordbairisch, also ab einer Linie, die ursprünglich etwa zwischen Altenstadt und Windischeschenbach verlief, galten lange Zeit die Laute ia für mhd. e und ua für mhd. o, also Iasl und Uafm für heutiges ‚Esel‘ und ‚Ofen‘, wobei man diese immer seltener hört bzw. sich die Grenzen hier verschieben. Ganz typisch für den Dialekt in unserem Raum ist zum Beispiel auch die sogenannte Erweichung des -g im Wort und am Wortende wie mocha, Grouch und Beach, oder auch die Aussprache –a für die Verbendenden –en als schaua, während man im Mittelbairischen wiederum eher schaung sagt.
Auf jeden Fall bleibt unbestritten was Ludwig Zehetner, Professor der Dialektologie, 1985 in seinem Bairischen Dialektbuch so schön formuliert hat: „Insgesamt scheint das Nordbairische als eine in Bezug auf die Zwielaute besonders reich und eigenwillig entfaltete Dialektlandschaft“.
2. Der Nigl und seine Brüder
Der Nigl ist bei vielen heute vielleicht gar nicht mehr so bekannt – und das, obwohl es ihn doch in den unterschiedlichsten Erscheinungen gibt. Gemocht hat man ihn und seine »Brüder« in der Oberpfalz jedenfalls noch nie so recht. Ganz allgemein kann damit ein kleiner, widerspenstiger oder boshafter Kerl bezeichnet werden. Woher diese Bezeichnung kommt, ist nicht hundertprozentig geklärt. Auch der Igel konnte im Bairischen Nigl genannt werden, allerdings ist die gleiche Aussprache vermutlich eher Zufall. Die Bezeichnung Nickl gibt es in manchen Wörterbüchern auch für Wassergeister, was aber wahrscheinlich eher mit der Nixe als mit unserem Nigl zu tun hat. Der Tirschenreuther Dialektforscher Johann Andreas Schmeller, der übrigens als Begründer der wissenschaftlichen Dialektologie gesehen werden kann, hat sich in seinem Bayerischen Wörterbuch schon vor fast 200 Jahren mit der Herkunft solcher Wörter beschäftigt. Beim Nigl vermutete er einen Zusammenhang mit Genick und sieht eine Ableitung von dem männlichen Vornamen Nikolaus als eher unwahrscheinlich an. Ob Schmeller in unserem Fall Recht gehabt hat, ist eher fraglich. Schlägt man in anderen Herkunftswörterbüchern nach, so erfährt man, dass man mit Nickl früher auch über schlechte Pferde und Huren gesprochen hat und irgendwann wurde der Kurzname zum Schimpfwort für vermummte Schreckgestalten, die am Vorabend des Nikolaustages die Kinder besuchten.
Eine ganze Reihe von Zusammensetzungen mit –nickel bzw. –nigl kann man sowohl in Schmellers als auch in anderen Wörterbüchern finden. Im wirklichen Sprachgebrauch gab es wahrscheinlich noch viel mehr davon – der Fantasie waren hier keine Grenzen gesetzt. Der Daumanigl ist zum Beispiel ein kleiner Mensch, der Filznigl ein alter Geizhals genauso wie der Noutnigl, der aber auch jemand sein kann, der nichts hat und beständig mit der Not zu kämpfen hat. Der Grantnigl ist eine grantige Person so wie der Bosnigl, wie schon vermutet werden kann, ein boshafter Mensch. Der Ausdruck wird wie viele Schimpfwörter im scherzhaften Sinn auch bei kleinen Kindern verwendet. Einen Lausbuben kann man genauso als Lausnigl bezeichnen. Der Suffnigl erklärt sich von selbst. „So a Saunigl!“ kann man entweder sagen, wenn man über einen schmutzigen, ungepflegten Mann redet, aber auch wenn jemand unanständig und derb daherredet. So eine Ausdrucksweise wurde übrigens auch Sauglocken läuten genannt. In beiden Fällen kann man statt Saunigl auch etwas »feiner« Schweinigl sagen. Unser Tirschenreuther Dialektforscher hat für diesen Ausdruck außerdem notiert, dass auch ein verlierender Kartenspieler so bezeichnet wurde. Eine Begründung dafür gibt er in seinem Wörterbuch nicht. So manches bleibt in der Oberpfalz halt doch ein Rätsel.
3. Bärner und Mejsbärn
„Du Bärner du!“ oder sogar „Du Saubärner!“ kann man jemanden rufen hören, der über einen anderen in höchstem Maße empört ist. Sei es wegen seiner Äußerlichkeit, seinem Verhalten oder seiner Redeweise. Der Saubär ist ja eigentlich der Eber und diese Bezeichnung kommt noch aus dem Mittelhochdeutschen, wo der Zuchteber bêre hieß. Das Wort wurde dann im Bairischen zu dem relativ derben Schimpfwort für Personen, die ungepflegt, schmutzig oder ungewaschen sind oder ihre Wohnung verdrecken lassen, aber auch für sittenlose, ungehobelte Kerle.
Ein besonders interessanter Ausdruck in der Oberpfalz ist in diesem Zusammenhang der Mejsbär. Das Wort scheint nicht so weit verbreitet zu sein und bei denjenigen, die es kennen, herrscht oft Uneinigkeit darüber, welche Eigenschaften ein Mejsbär nun wirklich genau erfüllen muss. Oft meint man damit etwas Ähnliches wie mit dem einfachen Bärner, also einen sehr schmuddeligen, ungepflegten Mann. „So a alter Meijsbär“ kann aber auch jemand sein, der immer mürrisch oder missgelaunt wirkt und zudem nicht besonders kommunikativ ist. Die Herkunft ist recht schwer zu deuten. Der erste Teil des Wortes Mejis kann nur auf ein altes mittelhochdeutsches Wort mit ie oder üe zurückgehen. Diese Laute wurden nämlich auf dem Weg zu unserer heutigen Standardsprache zu ie oder ü, im Nordbairischen aber zu ej. Deshalb sagt man in der Oberpfalz zum Bespiel Brejder für Brüder und Flejng für Fliege.
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18. Bairisch ist Hochdeutsch!
Wie kann das sein? Hochdeutsch ist in der Sprachwissenschaft eigentlich die Bezeichnung für die deutschen Dialekte im Süden Deutschlands. Dazu gehören das Alemannische, das Westmitteldeutsche, das Ostmitteldeutsche, das Ostfränkische und eben das Bairische. Alemannisch und Bairisch zusammen werden sogar als oberdeutsche Dialekte bezeichnet. Bis ins 18. Jahrhundert hat man bei diesen Bezeichnungen rein landschaftlich gedacht: Im Norden ist das Land niedrig und platt, man ist also in Niederdeutschland und dort spricht man demnach Niederdeutsch oder Plattdeutsch. Im Süden, ist das Land höher, und in diesem Sprachraum spricht man Hochdeutsch. Von einer deutschen Sprache oder deutschen Dialekten kann man aber überhaupt erst ab der Zeit um das 8. Jahrhundert sprechen, als sich das Germanische durch bestimmte regionale lautliche Veränderungen aufspaltete. Solche Veränderungen waren zum Beispiel die Verschiebung von k zu ch oder von p zu pf. Das unterscheidet bis heute das Deutsche von anderen germanischen Sprachen wie dem Englischen, wo der Apfel aple heißt oder machen make. Diese Verschiebung hatte auch der Norden Deutschlands, also das Niederdeutsche, nicht mitgemacht. Dort hört man ja auch heute noch Appel, Ferd und Fanne oder ik und Water. Die Bezeichnungen Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch betreffen aber immer nur diejenigen Dialekte, die diese Lautverschiebung mitgemacht haben, also nur die Dialekte im Süden Deutschlands. Eine einheitliche Schriftsprache gab es in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit noch nicht, denn in den Klöstern und Kanzleien wurde je nach Ort zunächst so geschrieben, wie gesprochen wurde. Aber da der Handel immer wichtiger wurde, sollte natürlich auch die schriftliche Verständigung möglichst gut klappen und so kam es im Süden zwischen Städten wie Nürnberg, Regensburg, Wien und Eger zu den ersten überregionalen Schriftsprachen. Man hat zwar regionale bairische Besonderheiten wie bestimmte Zwielaute noch gesprochen, aber nach und nach in der Schrift vermieden. Stattdessen fing man an, gut und hüten zu schreiben, sagte aber weiterhin guot, und hüeten. Die Schriftsprache, die sich dann im ganzen Südosten des deutschen Sprachgebiets entwickelte, wurde bald als das Gemeine Teutsch bezeichnet. Ab dem 16. Jahrhundert wurde auch die Meißner Kanzlei aus verschiedenen Gründen immer bedeutender. Unter anderem übrigens deswegen, weil Martin Luthers Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche, auf der unser heutiger Bibeltext beruht, so großen Erfolg hatte, dass das von Luther geschrieben Deutsch große Vorbildfunktion erlangte. Martin Luther schrieb zwar hauptsächlich nach der Meißnischen Kanzlei, bemühte sich aber um ein Schriftdeutsch, das möglichst in allen Regionen Deutschlands verstanden werden sollte und das sich auch nicht mehr besonders von den weiter südlich geltenden Formen unterschied. Das geschriebene Deutsch war also jetzt im ganzen hochdeutschen Raum einigermaßen einheitlich geworden. Diese Schreibsprache wurde dann auch im Norden Deutschlands übernommen und ersetzte die bis dahin geltende niederdeutsche Schriftsprache der Hanse. Man schrieb also jetzt auch hier Hochdeutsch. Das Plattdeutsche war so weit von dieser Form des Deutschen entfernt, dass man Hochdeutsch hier fast wie eine Fremdsprache lernen musste und sich hier besonders bemühte, die Aussprache der Schrift anzupassen. An dieser Sprache orientierten sich dann die nächsten zwei Jahrhunderte die Dichter und Grammatiker, die zunehmend an Regelwerken für eine einheitliche deutsche Rechtschreibung und später auch einer »Idealaussprache« arbeiteten. So entstand der Eindruck, dass das »reinste Hochdeutsch« aus dem Norden kommt.
Literatur:
Aman, Reinhold: Bayrisch-Österreichisches Schimpfwörterbuch. München 2005.
Ebner, Jakob: Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich. 1998.
Duden. Fremdwörterbuch.8., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2005.
Gütter, Adolf: Nordbairischer Sprachatlas. München 1971
Härdl, Adam: Lateinische Überreste im bairischen Dialekt. Ingolstadt 1987.
Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. 9. Aufl. Tübingen 1992.
Klingert–Bartonekt, Nadine: Regensburger Bairisch. Ein Wörterbuch zur Stadtsprache. Regensburg 2009
Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23., erweiterte Auflage, bearb. v. Elmar Seebold. Berlin/New York 1999.
Lexer, Matthias Dr.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1869-1878.
Merkle, Ludwig: Bayerisch auf Deutsch. Herkunft und Bedeutung bayerischer Wörter. München 1973.
Merkle, Ludwig: Bairische Grammatik. München 1975.
Renn, Manfred/Werner König: Kleiner Bayerischer Sprachatlas. München 2006.
Ringseis, Franz: Neues Bayerisches Wörterbuch. Wortschatz, Worterklärung, Wortbeschreibung. Pfaffenhofen 1985.
Schmeller, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch. 3. Neudruck der von G. Karl Frommann bearbeiteten 2. Ausgabe. München 1872-1877. 2 Bde. München 1961.
Zehetner, Ludwig: Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. 3. Auflage, Regensburg 2005.
Stangl, Martin: Schimpf-Wörterböijchl. Oberpfälzisch – Deutsch Deutsch-Oberpfälzisch. Weiden 2010.
Zehetner, Ludwig: „Basst scho!“ Wörter und Wendungen aus den Dialekten und der regionalen Hochsprache in Altbayern. Regensburg 2009.