Endlich wurde durch die Pressekonferenz in Amberg etwas zurechtgerückt, das zum Teil allzu sehr hochgekocht worden war: die Amberger Prügeleien, die viel zu lange dazu ausgenutzt wurden, ein Klima der Angst vor einer angeblichen Bedrohung durch zugewanderte Jugendliche in Deutschland zu verbreiten und „Abschiebung“ als Patentlösung für unterschiedlichste soziale Probleme zu präsentieren. Wo erst diese Tage die aktuelle Kriminalstatistik gezeigt hat, dass Deutschland so sicher ist wie noch nie.
Die Tatbestände in Amberg von der Herkunft der Jugendlichen zu lösen, hätte schon längst eine Selbstverständlichkeit sein müssen.
Oberstaatsanwalt Joachim Diesch sprach zusammenfassend von einem „jugendtypischen Geschehen“, wie es im Neuen Tag am 02.04. hieß. Jugendtypisch mitunter. Ob jedoch allein auf Langeweile und Alkoholkonsum zurückzuführen, wie die Staatsanwaltschaft weiter ausführte, daran ist zu zweifeln.
Bei den meisten auffälligen Jugendlichen – egal welcher Herkunft – liegen die dahintersteckenden Ursachen ganz woanders, nicht selten im häuslichen Umfeld. Wer beispielsweise von zu Hause nur Sorgen und Probleme kennt, wer keinen Respekt und keine Anerkennung erfährt, für wen Streit oder Alkoholmissbrauch seit der Kindheit zum Alltag gehören, für den erscheint das Leben gerade in dieser sensiblen Phase des Erwachsenwerdens einfach nur perspektivlos. Diese und andere Probleme münden leider oft in Verhaltensauffälligkeiten, Flucht in Drogen oder in Aggression.
Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommen noch ganz andere Faktoren dazu: Flucht, Traumatisierung, Gewalterfahrungen, chaotisches Ankommen, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, die neue Sprache, eine ganz andere Kultur, völlig neue Regeln und nicht zuletzt das derzeitige, wenig passende Beschulungssystem, das viele schlicht überfordert. Und dann? Manche scheitern, viele beißen sich durch – nicht selten allerdings mit dem Ergebnis, einen Ausbildungsplatz zugesagt zu bekommen, jedoch keine Erlaubnis. Was folgt, sind Perspektivlosigkeit und Verzweiflung. Dabei die ständige und ansteckende Angst, abgeschoben zu werden in Kriegsgebiete, wie auch im Fall einiger der Jugendlichen in Amberg. Angst und Verzweiflung, das wissen wir, führen oft zu Wut. Der ein oder andere hält das nicht aus und schlägt zu. Das ist schlimm und darf nicht akzeptiert werden.
Aber es bringt niemanden weiter, diese Jugendlichen auf ihre Taten zu reduzieren oder ihnen bloße Langeweile als Motiv zu unterstellen. Was wir bzw. diese jungen Menschen brauchen, sind eine bessere Betreuung, spezifisches Streetwork, auf Trauma bzw. Sucht spezialisierte Einrichtungen und vor allem einen Zugang zu therapeutischen Maßnahmen (inklusive stationärer Behandlung) unabhängig von der Herkunft, statt der Drohung „Abschiebung“. Denn mit Letzterem lösen wir keine Probleme – weder mit bzw. für die Jugendlichen mit oder ohne Migrationshintergrund. Resozialisierung muss der Weg sein, an dem festzuhalten ist, für alle jungen Menschen, die hier in Deutschland leben.
Dr. Barbara Neuber, Altenstadt a. d. Waldnaab